Mit den Ohren sehen




Die herausragenden sportlichen Leistungen bei den Paralympischen Winterspielen Mitte März in Pyeongchang (Südkorea) riefen nicht zuletzt durch die umfassende Berichterstattung im öffentlich-rechtlichen Fernsehen ein großes öffentliches Interesse für den Behindertensport hervor. Gleichzeitig erhielt damit auch die Relevanz der Inklusion von körperlich und geistig eingeschränkten Personen in allen Bereichen der Gesellschaft mehr Beachtung. Deshalb hat sich unser Seminarfach „Sport hat viele Gesichter“ am Beispiel der Sportart Blindenfußball mit dem Behindertensport auseinandergesetzt, um das Sporttreiben mit einer körperlichen Einschränkung praktisch zu erfahren. So haben wir zusammen mit einigen interessierten Oberstufenschülerinnen und -schülern der Jahrgänge 11 und 12 kurz vor den Osterferien an dem Projekt „Behindertensport (er)leben“ des Behinderten-Sportverbandes Niedersachsen (BSN) teilgenommen.

Zur Hinführung in die Thematik diente uns in der Vorwoche der Dokumentarfilm „Gold – Du kannst mehr als du denkst“, der die Biographien zweier Athleten und einer Athletin mit einem Handicap veranschaulichte und deren Vorbereitung auf die Paralympics in London 2012 in den Fokus rückte. Die große mentale Herausforderung der Lebensbewältigung mit einer körperlichen Behinderung und die in dieser Hinsicht besondere gesellschaftliche Funktion des Sports als Motor für Inklusion und Integration wurde dabei offenkundig.

Bevor es in die Praxis ging, hielt der Projektkoordinator für Blindenfußball des BSN, Maurizio Valgolio, einen umfassenden und anschaulichen Vortrag über die Strukturen des Behindertensports. Angefangen mit Informationen zum BSN und der allgemeinen Geschichte des Behindertensports, kam er schließlich auf die spezifischen Regeln und Besonderheiten des Blindenfußballs zu sprechen, die mithilfe von Videomitschnitten der letztjährigen Europameisterschaft in Berlin gut nachvollziehbar erklärt wurden. Anschließend fanden wir uns dann in der Hössen-Sporthalle zusammen. Dort wurde uns als erstes mit einer Dunkelbrille unser Sehsinn genommen. Als Einstieg machten wir einige Koordinationsübungen, um uns an die Dunkelheit zu gewöhnen. Bereits bei unseren ersten Orientierungsversuchen gerieten wir spürbar in Schwierigkeiten. Hilfestellungen des Referenten halfen uns, diese schrittweise zu verringern. Als dann im nächsten Schritt der spezielle, dank einer inneren Rassel hörbare Ball ins Spiel gebracht wurde, stellte vor allem die Ballkontrolle bei einigen Teilnehmerinnen und Teilnehmern eine große Herausforderung dar. Aktive Fußballerinnen und Fußballer hatten hier einen Vorteil. Das darauffolgende Passspiel mit Partnern war nur durch deutliche verbale Kommunikation untereinander möglich, da nur so auf die Position der Mitspielerinnen und Mitspieler geschlossen werden konnte. Im abschließenden regelgerechten Spiel sorgen neben dem Rasselball sogenannte Rufer, platziert in vorgegebenen Zonen außerhalb des Spielfeldes, sowie die ebenfalls sehfähigen Torleute für eine akustische Orientierung.

Insgesamt konnten wir einen umfassenden Einblick in den Blindenfußball und somit in eine für uns neue Facette des Sports gewinnen. Der Verzicht auf den Sehsinn bescherte uns viele wertvolle Erfahrungen, z.B. wurden der Hör- und Tastsinn um einiges stärker als sonst beansprucht, was keinesfalls leicht zu bewältigen war.

In dieser Hinsicht hat uns der Workshop sensibilisiert, im Alltag bewusster und rücksichtsvoller zu handeln. So reicht beispielsweise ein reflexartiges Nicken nicht aus, um sehbehinderten Menschen eine Antwort auf eine Frage zu geben. Diese Sensibilität und gegenseitige Rücksichtnahme gilt es nun auch auf andere Bereiche des gesellschaftlichen Zusammenlebens zu übertragen, in denen uns Menschen mit Handicaps begegnen.

Ein besonderer Dank gilt dem Förderverein des Gymnasiums Westerstede und der LzO, welche uns die Finanzierung des Workshops ermöglicht haben. Er war in jedem Fall ein gelungener Abschluss des Seminarfachunterrichts in der letzten gemeinsamen Stunde vor den Abiturprüfungen.